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Qualitätskriterien für Serious Games

Posted in Serious Games

Mittlerweile gibt es auf dem Markt eine nennenswerte Menge an Serious Games und Gamification Anwendungen. Sie sind in der Schule, der Arbeitswelt, in der Ausbildung und eigentlich nahezu allen weiteren Bereichen angekommen. Der Markt mit Serious Games boomt! Aber Fakt ist auch, bei allem Respekt: Sehr viele Serious Games und gerade Gamification Anwendungen da draußen sind schlicht gesagt einfach Schrott. Und sie missachten teils die simpelsten Qualitätskriterien für Games und Serious Games. Grund genug mal ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Systematik ein paar dieser Qualitätskriterien für Serious Games runter zu schreiben.

Ziele von Serious Games

Zu allererst steht natürlich die Frage im Raum: Was ist mein Ziel, wenn ich ein Serious Game oder eine Gamification Anwendung mache.

In der Regel will ich:

  1. Dass der User etwas lernt oder / und übt oder ich möchte beim User eine Verhaltensänderung bewirken.
  2. Den User motivieren, dass er das Produkt, gerne, freiwillig, oft, lange und immer wieder nutzt.
  3. Dass der User Spaß hat oder aber eine andere ähnlich intensive Emotion mit meinem Produkt erlebt. (Es gibt Serious Games, wo man beispielsweise die Gefangenschaft unter den Nazis miterlebt. Das macht nicht direkt Spaß, aber ist eben doch auch auf andere Weise eine lohnenswerte, weil intensive und bereichernde Erfahrung.)

Wie erreiche ich meine Ziele mit einem Serious Game?

Was man unbedingt verstehen muss, wenn man Lerninhalte mit einem Serious Game vermitteln will oder Verhaltensänderungen bewirken möchte:

Zu allererst muss das Spiel funktionieren!

Das ist wie wenn ich ein Fahrzeug brauche, um von A nach B zu kommen. Fährt die Karre net, komme ich nicht von A nach B. Dann ist egal, ob das Auto besonders hübsch, besonders ökologisch, besonders günstig oder irgendwie besonders pädagogisch wertvoll ist. Fährt es nicht, komme ich nicht von A nach B. Punkt.

Natürlich muss ich schon beim Design des Fahrzeugs berücksichtigen, dass das Fahrzeug für genau den Transport den ich möchte auch geeignet ist. Ich kann 10 Tonnen Steine nicht mit einem Kleinwagen transportieren. Und um morgens eine Person jeden Tag 3km zur Arbeit und Abends zurück zu bringen, brauche ich weder einen LKW noch einen Formel Eins Wagen. Aber ich sage es noch mal: Das Fahrzeug kann noch so großartig designed sein. Wenn es nicht fährt, kommt damit niemand von A nach B.

Spiele müssen funktionieren

Genau so ist es auch mit Spielen: Ich kann in ein Serious Game 127 Lernziele aus einem absurd umfassenden, von Fachkräften recherchierten Lernzielkatalog reinstopfen (reales Beispiel). Oder ich kann das hübscheste Design vom Artist meiner Träume bauen lassen. Ich kann es DSGVO konform machen oder ich kann jede einzelne Person an dem Projekt bei dem Konzept mitquatschen lassen. Wenn dann aber am Ende der User das Spiel öffnet und es lädt entweder nicht, oder stürzt nach 10 Minuten ab, oder aber – was einfach verdammt oft bei gängigen Serious Games passiert – der User findet das Spiel einfach nur strunzlangweilig, total unlogisch oder einfach nur null ansprechend, dann bringt mir das alles überhaupt nichts. Weil dann macht er es aus und das wars. Fertig.

Scheint selbstverständlich. Ist es aber in der Praxis faktisch offenbar nicht. Deswegen ist das Erste der Qualitätskriterien für Serious Games:

1. Ein Serious Game muss als Spiel funktionieren

Wann ein Spiel funktioniert, dazu habe ich an anderer Stelle schon einen eigenen Blog-Artikel geschrieben. An dieser Stelle nur so viel dazu:

  1. Spiele müssen „engaging“ sein, ergo sie müssen Menschen ansprechen, einnehmen und irgendwie fesseln.
  2. Die Abläufe in Spielen müssen funktionieren. Sprich, die Abfolge der Schritte muss Sinn machen und die Spieler:innen sowohl hinreichend leiten als auch ihnen genügend Freiheiten geben.
  3. Der Spieler muss die treibende Kraft sein. Er darf also nicht nur durch einen vorgefertigten Ablauf durchgeschoben werden oder es darf nicht gar wer anders, ein NPC oder so, der eigentliche Star sein.
  4. Der Schwierigkeitsgrad des Spiels muss funktionieren. Sprich er muss optimal auf den jeweiligen Stand des Spielers zugeschnitten sein. Auch wenn er mal ne Zeit lang nicht gespielt hat.

2. Ein Serious Game muss Lerninhalte vermitteln oder eine Verhaltensänderung bewirken

Daneben, dass ein Serious Game erstmal ganz grundsätzlich als Spiel funktionieren muss, soll es natürlich darüber hinaus auch noch Lerninhalte vermitteln oder Verhaltensänderungen bewirken. Hier ist dann die Frage: Wie verpackt man Lerninhalte in Serious Games? Darüber könnte ich natürlich jetzt Bücher füllen und die Beantwortung dieser Frage würde den Rahmen dieses Artikels in absurdem Ausmaß sprengen. Aber grundsätzlich lässt sich dazu sagen: Genau das ist eben die Mischung aus Handwerk und Kunst, wegen der man einfach schlicht und ergreifend einen guten Serious Game Designer braucht, wenn man ein Serious Game machen will. – Ja, das ist sogar noch mehr als ein normaler Game Designer – Weil entgegen der landläufigen Meinung: Nein, das kann nicht jeder. Dafür muss man was lernen und Erfahrung haben.

Da gute und funktionierende Lernspiele zu machen tatsächlich zu den eher anspruchsvolleren Tätigkeiten im Leben gehört, verpackt man Lerninhalte in ein Spiel idealerweise, in dem man unter anderem drei Schritte gründlich und fundiert vollzieht:

Drei Schritte im Game Design von Serious Games

  1. Die Constraints Analyse
    Man sollte sein eigenes Setup kennen: Was sind meine Einschränkungen? Was kann mein Medium? Was kann es nicht? Was sind meine Möglichkeiten? Was sind meine Nachteile mit meinem Setup? Was ist mein zeitlicher Rahmen? Mein Budget? Etc.
    Kurz: Man sollte eine Constraints Analyse machen. Über die Constraints Analyse für Serious Games habe ich schon mal am Beispiel von EDURINO auf dem Blog geschrieben.
  2. Die Game Design Problem Analyse
    Aufbauend auf der Constraints Analyse macht man dann am Besten eine Game Design Problem Analyse. Sprich: Man entwickelt über eine systematische Analyse ein Konzept dafür, wie man seine individuellen Möglichkeiten bei dem Projekt optimal ausnutzt und aus den scheinbaren Einschränkungen und Nachteilen die ureigenen Stärken des Produkts macht. Ganz, ganz spannendes Thema. Darüber werde ich in absehbarer Zeit noch einen Artikel veröffentlichen. Ist schon in der Mache.
  3. Der Narrative Frame
    In der Regel hat man bei Serious Games einen, wenn auch teils absolut minimalistischen, narrativen Rahmen. Wenn nicht, verschenkt man auf jeden Fall etwas. Denn Geschichten oder auch nur Minimal-Narrative haben das Potential, Lerninhalte aus der trivialen, oft langweiligen und anstrengenden Realität heraus zu nehmen und uns über das trojanische Pferd „Story“ oder auch „Minimal Narrative“ in höchst spannender und unterhaltsamer Form wieder unterzujubeln. Außerdem unterstützen sie die Funktion von Spielen dem Spieler einen geschützten Rahmen zu bieten, in dem er sich ohne Angst vor realweltlichen Konsequenzen spielerisch ausprobieren kann. Auch das Thema würde hier vollkommen den Rahmen sprengen. Und auch darüber werde ich bald mal einen Blog Artikel schreiben und das dann hier updaten.

3. Ein Serious Game muss kurz- wie langfristig motivieren

Nehmen wir also mal ganz waghalsig an, dass das Serious Game nun also erstmal grundlegend als Spiel funktioniert und die Lerninhalte sinnvoll verpackt sind. Dann wollen wir darüber hinaus natürlich noch, dass der User das Spiel gerne, oft und auch langfristig immer wieder spielt. Und das hier ist so ein Punkt, der mir wirklich am Herzen liegt. Denn stumpfe Punkte, Badges und Leaderboards – wie sie auch bei Gamification Ansätzen oft vollkommen unbesorgt eingesetzt werden – vermögen zweifellos, den User für eine gewisse Weile zu motivieren.

So schlampig, wie das aber in der Regel gemacht wird, ist das dann – wenn überhaupt – nur ein Motivations-Strohfeuer und langfristig geht die Motivation dann in den Keller. Und das so dermaßen und umfassend und nachhaltig, dass sie für den gesamten Stoff – nicht nur in der App! – noch schlechter wird, als noch bevor man angefangen hat, das Spiel zu spielen. Das nennt man den Effekt der Überrechtfertigung. Auch über den habe ich im Blog schon umfassend geschrieben.

Auch und gerade hier braucht man deswegen für ein gutes Serious Game einen gestandenen Serious Games Designer. Denn einfach nur Kindern Münzen für bestandene Aufgaben in einer Lernapp zu geben (auch reales Beispiel) funktioniert nicht nur nicht. Es kann auch katastrophale Auswirkungen auf die generelle Lernmotivation bezüglich Schulstoff haben! Und wer will das schon? Damit ein Serious Game langfristig motiviert muss man deswegen ein maßgeschneidertes Motivations- und Belohungskonzept bauen, dass sowohl kurz- als auch langfristig motiviert und dass den Effekt der Überrechtfertigung sicher vermeidet. Auch darüber werde ich mal irgendwann einen eigenen Artikel schreiben.

Qualitätskriterien für Serious Games: Lange Rede – Kurzer Sinn

Auch wenn der Markt der Serious Games momentan qualitativ bestenfalls als durchwachsen zu bezeichnen ist, dürfen wir alle eins nicht vergessen:

Gut gemachte Serious Games sind einfach nur großartig!

Mit Serious Games können die User ohne es zu merken, voll motiviert und mit extrem viel Spaß Dinge lernen, die ansonsten vielleicht trocken wären oder sie können wirklich täglich Instrumente üben oder es können extrem positive Verhaltensänderungen in kurzer Zeit bewirkt werden. Und mit gut gemachten Serious Games können User so viel schneller so viel mehr lernen als in normalem Unterricht, dass es schon fast absurd ist.

Aber gleichzeitig sind Serious Games einfach mal in dem ohnehin schon anspruchsvollen Feld des Game Designs die absolute Königsklasse. Deswegen: Wenn ihr euch dem Mammutprojekt eines Serious Games stellen wollt, dann bitte schaut doch, dass sich der immense Aufwand am Ende auch lohnt und ihr wenigstens diese rudimentären Qualitätskriterien für Serious Games zumindest mal angeschaut habt.

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