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LIRA – Lernen im Rollenspiel

Posted in In eigener Sache, Rollenspiel, and Serious Games

Heute muss ich euch mal von einem ganz tollen Projekt erzählen, an dem ich gerade mit einem ebenso tollen Team für Ulisses Spiele arbeiten darf: LIRA – Lernen im Rollenspiel. Es handelt sich um ein sogenanntes Pen & Paper Rollenspiel, also sowas wie Dungeons and Dragons oder Das Schwarze Auge. LIRA ist ein analoges Rollenspiel. Und es wird in einer Gruppe von drei bis sechs Spielern zusammen mit einem Spielleiter ganz offline am Tisch gespielt. Das Besondere bei LIRA ist: Man kann mit LIRA Mathe lehren.

Was ist eigentlich noch mal Pen and Paper Rollenspiel?

Pen and Paper Rollenspiel (P&P) oder im englischen auch öfter als tabletop role-playing game (TTRPG) bezeichnet, ist eine analoge Form und damit die Urgroßmutter jeder Form von Fantasy Rollenspiel und damit auch der Vorläufer von allen Computer Rollenspielen. Dungeons & Dragons war damals das erste wirkliche Rollenspiel dieser Art. Und D&D war auch das Spiel, was – zusammen mit meinem großen Bruder – mich für immer für Rollenspiel verdorben hat 😉

Beim Pen and Paper Rollenspiel übernehmen die SpielerInnen die Rolle einer Spielfigur, die sie entsprechend des Regelwerks zuvor selber erschaffen haben. Durch diese Spielfigur nehmen sie an einem Abenteuer teil, was ihnen eine SpielleiterIn in Form einer Erzählung und mithilfe von Karten, Illustrationen und teilweise auch anderem Material anbietet.

Und ich sag`s einfach wie es ist: analoges Rollenspiel gehört definitiv zu den coolsten Erfahrungen die man im Gaming Bereich machen kann! Sitzt man auf diese Weise für einen Abend zusammen und erlebt gemeinsam eine spannende interaktive Geschichte deren Held (oder Antiheld 😉 ) man ist, gibt es kaum etwas, das immersiver, spannender oder mitreißender ist. Die eigene Phantasie ist eben einfach immer noch das krasseste Medium was wir haben.

Warum mit Pen and Paper Rollenspiel lehren?

Dabei weist Pen and Paper Rollenspiel einige einzigartige Wirkmechanismen auf, die es zu einem absolut überlegenen didaktischen Instrument machen.

Der Held seiner eigenen Geschichte

Im Pen and Paper Rollenspiel und damit auch bei LIRA ist man immer der Held. Selbst wenn man sich dazu entscheidet, einen Antagonisten oder sonst wie einen Ar**h zu spielen, ist man zusammen mit seiner Gruppe immer der Protagonist der Story. Der Spielleiter bietet der Gruppe eine Geschichte an und beschreibt, was die Helden sehen, fühlen, riechen und was um sie herum passiert. Aber die Helden der SpielerInnen entscheiden, was sie damit anfangen, wie sie reagieren und ob sie anderen Figuren helfen oder nicht. Die ganze Geschichte entfaltet sich um die Handlungen der SpielerInnen und sie sind bei einem guten Rollenspiel der Motor der Geschichte.

Damit sind die SpielerInnen, wenn sie im Rollenspiel in die Geschichte eintauchen, der Main Character und nicht einfach nur ein kleiner Statist am Rande größerer Ereignisse. Sie sind Larger than Life und sie sind Larger than themselves! Sie schlagen sich nicht mit trivialem Alltagsmist wie Hausaufgaben und dem Einräumen der Spülmaschine herum. Sondern sie stellen sich herausragenden Abenteuern! Sie vollbringen epische Leistungen! Sie schlagen böse Monster in die Flucht! Keine Aufgabe ist zu groß, keine Herausforderung schüchtert sie ein, keine Gefahr zu bedrohlich! Sie sind die Helden der Geschichte!

Und das färbt ab. Wenn ich ein mal die Woche 4 Stunden lang der Held der Nation bin und nach unglaublichen Anstrengungen einfach nur Großartiges vollbringe, dann strahlen diese Erfolgserlebnisse auf mein reales Leben über. Sie geben mir Selbstbewusstsein und den Glauben daran, dass ich alles schaffen kann. Sogar noch viel mehr als das: Sie geben mir nicht nur den Glauben daran, sondern sie lassen mich praktisch erleben, dass ich alles schaffen kann!

Eintauchen in eine alternative Realität

Die zweite Besonderheit bei Pen and Paper Rollenspielen ist, dass man durch seine Spielfigur in eine alternative Realität eintaucht. Indem ich den ganzen Abend so tue, als ob ich Tara die Feuerbeschwörerin oder Einar der Barbar bin und so mit der Spielwelt interagiere, tauche ich nicht nur in die Spielwelt ein, sondern ich werde ein Teil von ihr. Deswegen ist das Spielen eines Pen and Paper Rollenspieles – neben der Teilnahme an einem Live Rollenspiel – so ziemlich das immersivste Erlebnis, das man überhaupt nur haben kann.

Und durch das Eintauchen in eine Spielwelt, entsteht eine Art Schutzraum für die SpielerInnen, in dem sie sich ohne Angst vor realen Konsequenzen ausprobieren können. Denn alles was passiert ist ja nur ein Spiel. Und in einem Spiel tut man nur so als ob. Und wenn die SpielerInnen im Spiel scheitern, dann muss das einzig und allein ihre Spielfigur ausbaden. Sie dagegen gehen am Montag wieder zur Schule, als wäre nichts gewesen. So können die SpielerInnen ganz ohne Angst auf diesem riesigen Spielplatz an Möglichkeiten neue Handlungsoptionen und Strategien erproben und sich immer wieder ganz frei neu erfinden.

Dadurch wird auch die Spielrolle zu einer Art Schutzanzug. In meiner Spielrolle darf ich alles tun! Ich darf mich alles trauen. Ich darf auch mal böse, gemein oder ungerecht sein. Und ich kann sehen, welche Konsequenzen das mit sich bringt. Ich kann auch Sachen ausprobieren, die mir irgendwie verrückt erscheinen. Oder ich kann mich Aufgaben stellen, von denen ich eigentlich fast sicher „weiß“, dass sie eine Nummer zu groß für mich sind. Ich darf scheitern, ich darf siegen, ich darf Anerkennung an mich reißen oder aber mich trauen nach vorne zu treten, wenn ich mich normalerweise eigentlich im Hintergrund halten würde.

Pen and Paper Rollenspiel als Handlungsorientierte Methode

Zusätzlich zu all dem ist Rollenspiel auch – im Gegensatz zu den meisten anderen Unterrichtsformen – eine handlungsorientierte Methode. Die SpielerInnen bekommen hier nicht einfach theoretisches Wissen vermittelt. Sondern alles basiert darauf, dass sie die ganze Zeit durch ihre Spielfiguren hindurch praktisch handeln. Quasi Learning by Doing. Und dadurch erwerben sie tatsächlich auch praktische Kompetenzen.

Und durch die Einbettung der Inhalte in einen praktischen und narrativen Kontext, machen selbst abstrakte Inhalte plötzlich Sinn. Die Frage nach dem „Wofür zum Teufel soll ich diese mathematischen Inhalte später mal brauchen?!“ stellt sich einfach nicht, wenn ich damit gerade einen alchemistischen Trank herstelle, mit dem ich Unter Wasser Atmen und so in den uralten versunkenen Tempel eindringen kann, in dem ich unglaubliche Schätze vermute. Und genau dadurch passiert auch etwas anderes ganz Entscheidendes: Die ansonsten für Schülerinnen oft eher langweiligen Inhalte bekommen plötzlich Relevanz. Es wird auf einmal für die Spielenden wirklich wichtig, ob sie richtig rechnen, wenn davon abhängt, ob die ganze Gruppe danach unter Wasser atmen kann oder aus Versehen zu Kaulquappen wird.

So wird im Rollenspiel nicht nur der Kopf und damit die Kognition angesprochen. Sondern das Ganze wird für sie auch emotional relevant und dadurch fungiert der Körper als Resonanzboden für das Erlebte. So merken sich die Spielenden die gelehrten Inhalte nicht nur wesentlich besser und nachhaltiger, weil neuropsychologisch die Inhalte nicht nur im Neokortex abgespeichert werden, sondern auch implizites Wissen in den Basalganglien als Prozedur, also als tatsächliche Handlungsfolge abgespeichert wird. Sondern auch der spätere Transfer auf andere Inhalte fällt kurz- und langfristig wesentlich einfacher, wenn man im Rahmen von Rollenspiel lernt.

LIRA – Lernen im Rollenspiel

Und all das machen wir uns bei LIRA zunutze. Bei LIRA gehen die Kids nicht zur regulären Nachhilfe. Das heißt, sie bekommen bei Problemen in Mathe (und später auch anderen Fächern) nicht noch mehr vom Gleichen, nämlich Unterricht. Sondern sie spielen ein spannendes Spiel. Bei LIRA sind die Kids nicht länger „die mit dem Problem“ oder „die, die nicht gut genug in Mathe sind“. Sondern bei LIRA sind die Kids die Helden der Story! Sie sind es, um die sich alles dreht. Sie sind echte Abenteurer, die sich im Rahmen von spannenden Geschichten gemeinsam in einer Gruppe Herausforderungen stellen, an die sich sonst keiner herantraut!

Und bei LIRA – wie bei all meinen Spielen – verknüpfen wir nicht einfach einzelne Mathe Aufgaben plump mit einer Geschichte oder lassen die Kids immer wieder zwischen fiesen Mathe Aufgaben noch fiesere kleine Spiele spielen oder Filme gucken oder belohnen sie mit stumpfen Punkten, wenn sie wieder etwas mehr Mathe ertragen haben… Sondern LIRA ist ein echtes Spiel. LIRA macht wirklich Spaß. Und bei LIRA verweben wir – wie es bei einem guten Lernspiel der Fall sein muss – die Lerninhalte nahtlos mit den Spielmechanismen, so dass es die SpielerInnen sind, die durch das Lösen der Aufgaben und durch das Lernen und Anwenden der Lerninhalte den Fortschritt in der Geschichte und im Spiel bewirken.

Ich kann und will euch hier noch nicht zu sehr spoilern, aber ich muss klar und unbescheiden sagen: Es ist einfach nur großartig und episch geworden 😉

LIRA – Rollenspiel für Alle

Zwei Aspekte sind dabei bei LIRA sehr bedeutend. Zum einen kann man mit LIRA, während man es auch nur zum Spaß spielen kann (was wir auch bereits seit etwa einem Jahr tun), tatsächlich Mathe lehren. Bisher ist mir kein Pen and Paper System bekannt, das zu diesem Zweck gebaut wurde. (Wenn ihr doch eins kennt, schreibt mir ne Mail oder lasst nen Kommentar da 🙂 )

Und zum Anderen ist LIRA ein absolut einsteigerfreundliches und niedrigschwelliges System. Und das kann man vorsichtig gesagt nun nicht gerade von jedem Pen and Paper System behaupten. Tatsächlich gehören P&P Rollenspiele zwar zu den tollsten Spielen überhaupt. Aber von „Einsteigerfreundlich“ kann leider meistens echt nicht die Rede sein. Stattdessen braucht man selbst mit Erfahrung und digitaler Unterstützung in der Regel noch Stunden – also wirklich viele, viele Stunden! – um sich beispielsweise eine D&D Spielfigur zu bauen. Und will man P&P als SpielleiterIn anbieten, ist man direkt mal mit Tagen, Wochen oder Monaten der Einarbeitung dabei, in denen man gleich mehrere dicke Wälzer durcharbeiten muss, um das Regelwerk und die Spielwelt hinreichend parat zu haben, damit man mit einer Gruppe spielen kann.

Bei LIRA war uns von Anfang an wichtig, dass wir ein wirklich – also wirklich 😉 – einsteigerfreundliches und niedrigschwelliges System bauen, das trotzdem genau so viel – oder eher mehr – Spaß macht, wie die ganzen komplizierteren Systeme. Wirklich jeder – egal ob Anfänger oder erfahrener Veteran – sollte LIRA einfach und gerne spielen und leiten können. Und das haben wir geschafft: Auch Menschen, die noch nie Rollenspiel gespielt haben, können mit LIRA in wenigen Minuten (!) beginnen zu Spielen. Und LIRA kann auch von vollkommenen Anfängern mit nur ein bis zwei Stunden Vorbereitungszeit geleitet werden.

LIRA – Status Quo

LIRA ist ein Kooperationsprojekt, dass einerseits vom Ulisses Spiele Verlag – genauer mir, Jan Wagner und als Illustratoren Amelia Rubin und Helge C. Balzer – entwickelt wird. Und das andererseits von Prof. Dr. Marc Schipper und Laura Clemens von der Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg, unterstützt durch Manouchehr Shamsrizi vom gamelab.berlin der Humboldt Universität in einer großen Studie auf Wirksamkeit überprüft wird. Dank Jans glorreichem Pitch Einsatz, konnten wir die DATIpilot Innovationsförderung des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt für LIRA gewinnen und arbeiten jetzt seit fast einem Jahr an LIRA. Damit ist LIRA ein echtes Powerhouse-Team-Projekt mit insgesamt vielen, vielen Jahrzehnten an geballter Game Design und Psychologie Erfahrung.

Logos der Teammitglieder von LIRA

Bisher steht von LIRA das etwa zehnseitige Grundregelwerk und der recht einzigartige Charakterbogen und mehr Hintergrund-Welt als wir für zehn Rollenspiel Systeme je brauchen könnten. 😉 Wir testen das System bereits seit knapp einem Jahr sehr erfolgreich und mit ganz wundervollem Feedback. Aktuell arbeiten wir auf der Entwicklerseite an der ersten Abenteuer Reihe bestehend aus fünf Sessions. Die erste Session ist bereits fertig und sehr erfolgreich getestet. Die zweite Session ist auch schon „fertig“ und befindet sich derzeit im Playtesting. Und die Sessions drei bis fünf stehen aktuell kurz vor der Fertigstellung und dem Playtesting.

Diese erste Abenteuerreihe wird dann nach den Herbstferien an diversen Schulen und Lernhilfe Einrichtungen im Rahmen einer großen Studie auf ihre Wirksamkeit überprüft. Die Studie ist fertig, aktuell laufen die Anträge bei den Kultusministerien und die Planung mit den Schulen und den Lernhilfe Einrichtungen steckt in den letzten Zügen.

Lust zu spielen?

Sooooo, wenn ihr jetzt so richtig Lust bekommen haben solltet, LIRA zu spielen und zufällig ne Gruppe Siebtklässler an der Hand habt und Lust, Zeit und Commitment die fünf Sessions mit diesen zu testen, dann könnt ihr tatsächlich schon mal ne kleine Sneak Peak bekommen. Wir sind sehr, sehr, sehr dankbar für alle, die uns bei LIRA in Form von Playtesting unterstützen wollen oder das bereits tun! Danke! 🙂 Habt ihr Lust und Zeit und Siebtklässler, schreibt mir einfach ne fixe Mail über das Kontaktformular.

Und wenn nicht… tja, dann müsst ihr leider noch ein paar Tage warten oder mich mal mit außergewöhnlich guten Spirituosen bestechen, damit ich für euch ne Runde meistere. 😛 Bald wird man LIRA aber auch auf den ersten Events spielen können. Und wenn ihr weiter auf dem Laufenden bleiben wollt, dann könnt ihr auch den Newsletter von LIRA abonnieren.


Zum Weiterlesen:

Balzer, M. (2011). Immersion as a Prerequisite of the Didactical Role-Playing. International Journal of Role-Playing, (2), 32–43.

Balzer, M., (2009). Live Action Role Playing: Die Entwicklung realer Kompetenzen in virtuellen Welten. 1st ed. Marburg: Tectum Verlag

van Ameln, F., Kramer, J., 2007. Wirkprinzipien handlungsorientierter Beratungs- und Trainingsmethoden, erschienen in: Zeitschrift für Gruppendynamik und Organisationsberatung, 38 (4), p.389-406

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