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Was ist eigentlich Spiel? Der Versuch einer Definition

Posted in Was ist eigentlich?

Spiel ist tatsächlich ein so altes Thema wie die Menschheit selbst. Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass der Mensch erst durch Spiel überhaupt zum Menschen wurde und Johan Huizinga spricht gar vom Homo Ludens, also dem spielenden Mensch, im Gegensatz zum Homo faber, dem schaffenden Mensch. Ebenso alt ist der Versuch eine wirklich gute Definition von Spiel zu finden. Allerdings entzog sich das Phänomen Spiel bisher den meisten gängigen Definitionen. Was ist also eigentlich Spiel?

Spiele gibt es wie Sand am Meer. Und dabei könnten sie teilweise kaum unterschiedlicher sein: Kinder spielen ganz frei und spontan Rollenspiele oder einfach Fangen. Brettspiele wie „Schach“ oder „Monopoly“ sind dagegen stark in den Abläufen festgelegt. Und Erwachsene gehen oft in zum Teil millionenschwer produzierten Computerspielen oder auch Live Rollenspielen auf. Wenn man genau hin schaut, ist Spiel eigentlich in jeder Altersgruppe, sozialen Schicht, Einkommensklasse und in jedem Land omnipräsent. Und vermutlich gibt es genau so viele verschiedenen Definitionen von Spiel, wie es verschiedene Spiele gibt.

Definitionen über Definitionen

Dabei setzen die meisten Definitionen von Spiel darauf, bestimmte Aspekte von Spiel als zwingend für dessen Vorliegen festzusetzen und dafür andere außer Acht zu lassen. So finden sich viele und vor allem ganz verschiedene Aspekte von Spiel: Mit „Freiwilligkeit“ oder „nicht ernsthaft“ über „zielorientiert“, „regelgeleitet“ oder „aus einem System von Teilen bestehend“ bis hin zu „eine Form von Kunst“ oder „mit offenem Ausgang“ werden je nach Definition ganz unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt.

Katie Salen und Eric Zimmerman haben in ihrem Grundlagenwerk „Rules of Play – Game Design Fundamentals“ (MIT Press, 2004) mit der folgenden Tabelle einen beachtlichen Überblick über einige der bedeutendsten Definitionen von Spiel gegeben:

Das Bild zeigt eine Tabelle aus dem Buch Rules of Play von Katie Salen und Eric Zimmerman mit einer Übersicht von verschiedenen Definitionen von Spiel.
Tabelle aus „Rules of Play – Game Design Fundamentals“ von Katie Salen und Eric Zimmerman, 2004, Seite 79

So kreisen die meisten Definitionen von Spiel das Thema irgendwie ein. Aber letztendlich muss man wohl sagen, dass bisher noch keiner dieser Ansätze den heiligen Gral der perfekten Definition von Spiel gefunden hat: Eine Definition von Spiel, die wirklich jedes Spiel umfasst, aber nichts, was kein Spiel ist. Trotzdem oder gerade deswegen möchte ich an dieser Stelle einen eigenen Versuch starten.

Wann ist ein Spiel ein Spiel?

Während sich die meisten Definitionen von Spiel also an einer mehr oder weniger willkürlich erscheinenden Auswahl von Merkmalen abarbeiten, möchte ich einen anderen Weg gehen. Denn womit man im Gegensatz zu sämtlichen Definitionen von Spiel immer unzweifelhaft heraus findet, ob es sich um ein Spiel handelt oder nicht, ist – Überraschung – die Teilnehmer des vermeintlichen Spiels einfach zu fragen.

Teilnehmer können in der Regel ganz direkt und unfehlbar sagen, ob sie gerade spielen und / oder an einem Spiel teilnehmen oder nicht. Aber warum ist das so? Warum schaffen Teilnehmer von Spielen das, woran Jahrtausende lang und heute noch Gelehrte, Literaten, Autoren und Forscher irgendwie gescheitert sind? Es liegt daran, dass sie erleben, ob etwas ein Spiel ist oder nicht. Sie spüren es einfach. Und damit meine ich nicht den Spaß. Denn es gibt durchaus Spiele, die vorübergehend oder generell überhaupt keinen Spaß machen. Und es gibt eine ganze Menge Sachen, die kein Spiel sind, die aber trotzdem so richtig Spaß machen. Nein. Spieler spüren einfach, dass sie Spielen so wie sie spüren, dass Wasser nass ist.

Egal was sich ein Game Designer bei einem Spiel gedacht hat: Wenn die Teilnehmer es nicht als Spiel wahrnehmen, ist es kein Spiel. Punkt. Das heißt die sogenannte User Experience, das Erleben des Spielers, definiert ein Spiel als Spiel. Share on X

Die Wahrnehmung von Spiel

Spieler wissen, dass es sich um ein Spiel handelt, weil sie es als ein Spiel erleben, es als ein Spiel wahrnehmen. Diese Wahrnehmung entsteht aus ihrer Beurteilung der Situation, ihrem Bewertungsrahmen, ihrem Frame. Dabei ist der Rahmen – der Frame – der Wahrnehmung auch meines Erachtens das Entscheidende. Wie bereits der Soziologe Erving Goffman 1974 in seinem Grundlagenwerk Frame Analyse erkannte: Es können beinahe identische Handlungen einerseits als Ernst und andererseits als Spiel definiert werden. So kann eine kämpferische Handlung zwischen Hunden ein Kampf sein oder mit nur einer geringfügigen Modifikation ein Spiel. Entscheidend ist dabei der Rahmen der Wahrnehmung.

„Und wir sagten die Rahmung mache das Handeln für den Menschen sinnvoll.‘“

 Goffman, 1977, Rahmen-Analyse, S. 376

Hat man das verstanden, wird klar, dass der Versuch das mannigfaltige Phänomen Spiel als eine Aufzählung von Merkmalen zu definieren, nur scheitern kann. Zu vielfältig sind die Genres und Ideen aus denen sich Spiele speisen. Ein Schuh wird dagegen daraus, wenn man statt dessen das Erleben der Teilnehmer, die sogenannte User Experience, in den Fokus rückt.

Der Game Frame als Definition von Spiel

Nun scheint das ganze ein Zirkelschluss zu sein. Die Spieler wissen, dass es sich um ein Spiel handelt, weil sie selbst es als Spiel wahr nehmen. Aber Tatsache ist: das und kein anderes ist das entscheidende Kriterium, ob etwas ein Spiel ist, oder nicht.

Ob etwas ein Spiel ist, hängt einzig und allein davon ab, ob es in einem Game Frame statt findet oder nicht. Share on X

Als Designer kann man diesen Game Frame entwickeln und voraus planen. Aber erst, wenn die Spieler ihn als Rahmen für ihre Wahrnehmung annehmen, wird aus einem theoretischen Konzept ein tatsächliches Spiel. Und aus der Wahrnehmung des Spiels als Spiel generiert sich dann die spielerische Attitüde der Teilnehmer und der Kreis ist komplett. Also ja: die ganze Definition dreht sich im Kreis. Aber der Kreis lässt sich schließen.

Der Frame der Frames: The Magic Circle of Gameplay

Viele Forscher haben es schon beobachtet: Im Spiel existiert eine Art eigene Realität, eine alternative Realität, eine surplus reality, eine Scheinwelt. In dieser Spielwelt gelten andere Regeln als in der realen Welt. Nur in der Spielwelt macht es Sinn, eine Figur, mit der man ein Ziel erreichen möchte, erst voran zu ziehen, wenn man zuvor gewürfelt hat. Und nur im Spiel macht es Sinn, sich bis zu einem bestimmten Signal die Augen zu zu halten und bis Zehn zu zählen, bevor man seinen Mitspieler sucht.

Diese alternative Realität ist von unserer Alltagsrealität durch den magic circle of gameplay getrennt. Dieser unterscheidet das Spiel auf vier Ebenen von unserer normalen Realität:

  • Zeitliche Ebene| Das Spiel hat einen klar definierten Anfang und ein Ende
  • Räumliche Ebene | Es gibt einen örtlich begrenzten Raum, wo das Spiel statt findet
  • Soziale Ebene | Es gibt eine Unterscheidung zwischen Mitspielenden und nicht Mitspielenden
  • Thematische Ebene| Der Inhalt des Spiels unterscheidet sich mehr oder weniger stark von der Realität

Das heißt, der Magic Circle of Gameplay, der oben angesprochene Kreis, wird auf diesen 4 Ebenen konstruiert: Zeit, Raum, Sozial und Thematisch. Und dieser Kreis oder Rahmen ist es, der bestimmt, ob etwas ein Spiel ist oder nicht.

Das Erschaffen und Erleben einer Welt

Genau wie es bei der Kommunikation immer Sender und Empfänger gibt, gibt es beim Spiel immer den Game Designer (und oft ein riesengroßes Team) und den Spieler. Der Game Designer entwickelt ein Spiel und erschafft den Game Frame. Und der Spieler erlebt idealerweise genau diesen Game Frame und übertritt den magic circle of gameplay und betritt damit die alternative Realität des Spiels. Erst wenn die Spieler den angebotenen Game Frame auch wahrnehmen, akzeptieren und nutzen, handelt es sich um ein Spiel.

Und deswegen ist es letztendlich ganz simpel, was alle Spiele gemeinsam haben und was auf nichts zutrifft, das kein Spiel ist:

Die Definition von Spiel ist, dass alles was in einem Game Frame statt findet, ein Spiel ist. Egal WAS in dem Game Frame statt findet. Share on X

WIE man diesen Game Frame als Game Designer so erschafft, dass die Spieler ihn auch möglichst als genau diesen wahrnehmen, akzeptieren und als Bewertungsgrundlage anwenden, das ist wiederum ein ganz eigenes Thema.

Zum Weiterlesen

Huizinga, Johan (2009) Homo Ludens – Vom Ursprung der Kultur im Spiel, Hamburg: rowohlts enzyklopädie

Salen, Katie; Zimmermann, Eric (2004) Rules of Play – Game Design Fundamentals, Cambridge: The MIT Press

Montola, Markus; Stenros, Jaakko; Waern, Annika (2009) Theory and Design of Pervasive Games – Experiences on the Boundary Between Life and Play, Burlington: Morgan Kaufmann Publishers

7 Comments

  1. Dr. Stefan Blanck
    Dr. Stefan Blanck

    Hallo Myriel,

    schwieriges Thema, für „Spiel“ eine Definition zu finden, da es scheint, bei jeder näheren Betrachtung sich dem Zugriff entziehen zu wollen. 😉

    Wenn ich das als Dozent für Game Design bespreche, befasse ich mich zunächst etymologisch mit dem Begriff „Spiel“ und seine mannigfaltige Benutzung in unterschiedlichsten Bereichen, darunter unter anderem Pädagogik, Therapie, Technik und Spieltheorie in der Mathematik.

    Deine fokussierte Betrachtung hier auf Unterhaltungsspiel ist legitim; du willst ja keinen wissenschaftlichen Exkurs starten, könntest du aber erwähnen.

    Über die Definition könnten wir tagelang debattieren und im Grunde ist an der Definition eines Game Frames, das von den Beteiligten Spielern anerkannt wird, nichts verkehrt. Gleichzeitig gebe ich zu Bedenken, dass mir ein Rahmen zur Einbettung eines „Spiels“ als Definitionsbereich zu beschränkt ist, insbesondere, da du selbst schreibst, dieser würde von den Game Designern geschaffen.

    Dem stimme ich nur in erster Instanz zu. Dieser Rahmen kann von den Spielern allerdings auch durchbrochen werden und ein Spiel, eine spielerische Aktivität mit, über oder um das Spiel herum fortsetzen, aufsetzen oder was auch immer denkbar ist … ohne definierte Grenzen. – Beispielsweise auch als „Metaebene“ bezeichnet.

    Ich denke dabei zum Beispiel an Erfahrungen aus den 80er Jahren, als sogenannte „Briefspiele“ aus der Grundlage von Pen&Paper-Rollenspielen entstanden. LARP, Cosplay etc. pp.

    Insofern: Es bleibt spannend und die Welt dem „Spiel“ offen verbunden, sofern unsere Zivilation und Gesellschaft Freiräume besitzt.

    Liebe Grüße
    Stefan

    18. September 2020
    |Reply
    • Myriel Balzer
      Myriel Balzer

      Hallo Stefan,
      Danke für deinen qualifizierten Kommentar 🙂

      Ich kann dir eigentlich nur in fast allen Punkten zustimmen. Und zu dem Thema „Durchbrechen des Game Frames“ fällt mir noch das ganze Thema Pervasive Spiele ein, wo es ja genau darum geht, den Game Frame auf einer oder mehreren Ebenen aufzubrechen.

      Und du hast natürlich recht: Der GameFrame kann auch von den Spielern selbst erschaffen werden. Es gibt ja zahlreiche Spiele, zum Beispiel auch die ganzen unformalisierten Kinderspiele, wo die Spieler gleichzeitig auch die Game Designer sind. Inwiefern ist dir denn der Ansatz zu beschränkt? Das interessiert mich wirklich 🙂

      Und och doch: Wir können gerne einen wissenschaftlichen Exkurs starten. 🙂 Was würdest du denn im Gegensatz zu reinem Unterhaltungsspiel als nicht abgedeckt sehen?

      Liebe Grüße
      Myriel

      21. September 2020
      |Reply
      • Dr. Stefan Blanck
        Dr. Stefan Blanck

        Hallo Myriel,

        der Ansatz des Game Frames ist – wie ich mit „in erster Instanz“ meinte – richtig und wichtig. Einem Spiel werden Regeln mitgegeben, damit Spieler sich damit zurechtfinden, Orientierung erhalten, Herausforderungen, Zielsetzungen und auch Belohnungen gehen damit einher. Sofern es sich um ein Mehrpersonenspiel handelt, werden Regeln sogar umso restriktiver, je kompetitiver die Spiele „ausgefochten“ werden. Es müssen Anti-Cheat-Systeme her, es darf keine Exploits geben, etc. pp. – Aber auch kooperative Spiele brauchen genaue Regeln, sonst leiden die Herausforderungen und somit der Spielspaß.

        Insofern braucht es also einen Game Frame wie du eingangs beschrieben hast, auf den sich die Spieler einlassen und ihm zustimmen.

        Viel wird über intrinsische und extrinsische Motivation diskutiert und im besten Fall ist „Spielen“ eine rein intrinsisch motivierte Handlung, wie Huizinga es formulierte. Wir kennen aber auch leidlich die Mechanismen, die zum täglichen Brot jedes Game Designers gehören, extrinsisch nachzuhelfen, bis hin zu Verstärkungsmethoden nach Skinner und darüber hinaus.

        Aber das führt uns an dieser Stelle genau in die falsche Richtung, denn „Spielen“ bedeutet im idealen Sinn – so wie ich es propagiere – nicht nur eine freiwillige Handlung, sondern impliziert darüberhinaus auch eine freie Handlung als solche. Beispiel: Man kann Lego nach einer Bauanleitung freiwillig spielen und dabei etwas Schönes zusammensetzen. Man hat eine Herausforderung, ein Ziel und am Ende eine prima Belohnung in Form eines fertiggestellten Objekts. Man kann aber auch völlig frei und ungebunden mit Legosteinen bauen und seine Freude haben.

        Wer an dieser Stelle entgegnet, dass die Legosteine dennoch Grenzen setzen, oder man in Minecraft auch nicht jegliche Freiheiten besitzt, dem entgegne ich, dass wir alle früher im Sandkasten gespielt haben, und nur Gravitation und Wind und Wetter unserer spielerischen Kreativität Grenzen aufgezeigt haben.

        Und damit schließt sich wieder der Kreis bezüglichen Grenzen, respektive Game Frames. Klar, es gibt immer irgendwelche. Aber ein freier Geist kann sie überwinden und sich spielerisch darüber hinwegheben. 😉

        Liebe Grüße
        Stefan

        21. September 2020
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        • Myriel Balzer
          Myriel Balzer

          Danke für deine Ausführungen!
          Ah, verstehe 🙂
          Für mich ist der Game Frame eher ein Wahrnehmungs Frame von Goffman kommend. Das heißt eher ein Mindset als ein Katalog an Regeln. Die Regeln konstituieren sicher in gewissem Umfang dieses Mindset, sind aber nicht deckungsgleich. Der Game Frame kann also auch ein Mindset eines komplett freien Spiels sein.
          Tatsächlich glaube ich, sollten wir diese Unterhaltung dringend in Persona bei einem Glas Wein führen 😀

          28. September 2020
          |Reply
  2. Thomas Dlugaiczyk
    Thomas Dlugaiczyk

    Hallo Myriel,
    es ist mit der „Definition“ des Spiels eine wenig wie mit der Geschichte des Elefanten in einem dunklen Raum: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_blinden_Männer_und_der_Elefant
    Jede und jeder von uns erkennt die Sache in Bezug auf seinen eigenen Erfahrungshorizont. Insofern danke ich Dir für die Anregungen und möchte die Definition des Spiels in Bezug auf Tätigkeit (ggf. auf Arbeit im ökonomischen Sinne ebenfalls anwendbar) von Csikszentmihályi mit einbringen, die da lautet: „Je mehr eine Tätigkeit innerlich einem Spiel ähnelt – mit Vielfalt, angemessenen, flexiblen Herausforderungen, deutlichen Zielen und unmittelbarer Rückmeldung – um so erfreulicher wird sie, ungeachtet der persönlichen Entwicklung dessen, der sie ausübt“. Mihály Csikszentmihályi, FLOW – Das Geheimnis des Glücks. Klett-Cotta 1992, S. 202
    Herzliche Grüße
    Thomas D.

    19. September 2020
    |Reply
    • Myriel Balzer
      Myriel Balzer

      Oh wie schön! Danke für deinen tollen Input Thomas! 🙂
      Spannendes Gleichnis in dem Kontext und das Zitat werde ich mit Sicherheit an anderer Stelle noch beim Thema Serious Games / Gamification verwenden 🙂

      21. September 2020
      |Reply
      • Dr. Stefan Blanck
        Dr. Stefan Blanck

        Witzigerweise wird dieses Gleichnis in der Serie „DARK“ erzählt. (Staffel 2, Episode 1)

        21. September 2020
        |Reply

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