Häh was?! Spiele entwickeln wie eine Zwiebel? Wieso Zwiebel? Ja weil ich nach über 10 Jahren einfach immer noch keine schickere Metapher dafür gefunden habe, wie man am Besten Spiele entwickelt. Ich mache euch ein Angebot: Ich erkläre euch, wie man am besten Spiele entwickelt. Und ihr überlegt mal, ob es eine more sexy Metapher als ne Zwiebel dafür gibt? 😉
Wieso Spiele entwickeln wie eine Zwiebel?
Also, Zwiebel deswegen, weil sie einen inneren Kern hat, um den sich eben in Zwiebelschichten immer weitere Layer perfekt passend um diesen Kern herum legen. Da stehen keine Fancy Türmchen ab, nichts blinkt irgendwo, oder die Zwiebel zieht irgendwie ne drei Meter lange Seiden-Schleppe hinter sich her. Und niemand würde auf die Idee kommen, dass erst die äußere Schicht wächst, dann vielleicht eine irgendwo in der Mitte und dann erst die Innerste.
Sondern Zwiebeln wachsen von der Mitte aus. Und nach und nach entstehen die Schichten um diesen inneren Kern herum. (Könnt ihr googeln, stimmt wirklich 😉 ). Und genau so sollte man Spiele entwickeln:
Vom innersten Kern nach Außen
Auch bei Games – egal ob digital oder analog – sollte man als aller aller allererstes den Kern der Spiele entwickeln. Quasi das schlagende Herz des Produkts. Das was das Spiel einzigartig macht. Das, warum das Spiel es wert ist, gemacht und gespielt und vielleicht auch bezahlt zu werden. Das, was das Spiel zum Leben erweckt. Sozusagen die Prämisse.
Das ist für die allermeisten Spiele Macher der Core Game Loop. (Ich erkläre weiter unten, was das ist). Ich persönlich folge da aber dem Rat von Shigeru Miyamoto (und von Johannes Reithmann, danke 😉 ) und gehe noch eine Ebene tiefer und schaue mir als erstes – getreu der abgedroschenen Maxime Gameplay is King – das sogenannte „Toy“ an.
Das Toy im Computerspiel
Anders als bei analogen Spielzeugen hat man im Computerspiel erstmal nichts, was man zum Spielen haptisch in die Hand nehmen kann. Aber genau so wie bei analogen Spielzeugen muss schon das einfache Herumspielen mit den Basis Mechanismen an sich wahnsinnig viel Spaß machen. Shigeru Miyamoto hat damals, um mit Super Mario das erste Plattformer Game überhaupt zu machen, gerüchtehalber Mario Monate lang einzig und allein über eine simple Fläche hüpfen lassen. Und zwar so lange, bis nur dieses simple Hüpfen lassen schon sauviel Spaß machte. Erst danach designte er den Core Game Loop und das erste Level, was nicht selten als DAS legendärste Level in Video Games bezeichnet wird, weil es dem Spieler on the fly alle wichtigen Mechanismen beibringt. Ohne nerviges ausbremsendes Tutorial 😉
Und so in etwa mache ich das auch: Ich frage mich, was das relevanteste Gameplay Feature ist, was sich durch den Core Game Loop immer und immer und immer wiederholen wird. Und das nehme ich mir dann als allererstes vor und mache es zu echtem Fun. Geht es dann noch um ein Lernspiel, integriere ich schon hier den grundlegenden Lerninhalt. Beispiele? Aber gerne doch:
Beispiele für das Toy in Lernspielen
Edurino
Bei EDURINO war das beispielsweise das Benutzen der App mit dem magischen Stift. Die Kinder sollen die App – obwohl sie diese eigentlich genau so mit dem Finger bedienen können – immer mit dem ergonomischen Eingabestift benutzen, um ihre graphomotorischen Fähigkeiten zu trainieren. Der Stift wurde also zum „magischen Stift“, mit dem das Kind – und nur das Kind! 😉 – in den verschiedenen EDURINO Welten echte Magie wirken konnte. Mit Partikeleffekten und Sound und allem Pipapo und siehe da: Alle Kinder benutzen den Stift. Einfach weil es eben Spaß macht.
Drum Revolution
Bei Drum Revolution ist das Toy, ähnlich wie bei Mario World, das Herumspringen mit Orb, der kleinen grünen Kreatur. Allerdings wird Orb mit einem echten Schlagzeug gesteuert. Und das so umzusetzen, dass es richtig, richtig viel Spaß macht und sich intuitiv und natürlich anfühlt, die Figur mit dem Schlagzeug zu steuern, war auf jeden Fall echt nicht einfach. Letztendlich sind wir auf das Movebook aber wirklich sehr stolz, weil es sich für alle Tester und Spieler super intuitiv anfühlt und es richtig viel Spaß macht, Orb mit dem Schlagzeug zu steuern. Drum Revolution ist auf jeden Fall eins meiner besseren Spiele. Probiert es mal aus. Geht auch mit der Tastatur oder mit einem Mini Tisch Drumset.
Baugarten
Und aktuell setzen wir diesen Ansatz auch bei dem wundervollen Projekt Baugarten um. Baugarten ist ein Aufbauspiel im Stil von Anno oder Siedler, bei dem man aber nebenbei Mathe der höheren Klassen lernt und übt. Also so richtig das Zeug mit Formeln, Ableitungen und so. Wir bauen momentan gerade einen neuen Prototypen und beginnen hier mit dem sogenannten Zoning Toy. Das „simple“ Feature, mit dem User zunächst rechteckige Felder und Weiden anlegen und später auch Häuser und runde Silos bauen können, scheint zunächst trivial. Ist es aber erstens nicht und außerdem werden es die Spieler immer und immer wieder nutzen. Ergo: Muss es auch wirklich Spaß machen, es zu benutzen. Oder wie man das in meiner Branche ausdrückt: Es muss juicy sein 😉
Der Core Game Loop
Man fängt also beim Spiele entwickeln idealerweise mit dem Kern der Zwiebel an und schafft mit dem Toy das schlagende Herz des Spiels. Erst wenn das wirklich Spaß macht, juicy ist und erfolgreich getestet wurde, baut man den Core Game Loop drum herum! Der Core Game Loop ist dabei das, was der Spieler in Variationen im Spiel immer und immer wieder tun wird. Und ja: Ein gutes Spiel hat nur einen Core Game Loop! Auch hier ein paar Beispiele:
Der Core Game Loop von Diablo
Der Core Game Loop von Diablo dürfte sich wohl am ehesten in etwa so beschreiben lassen:
- Der Spieler steuert seinen Charakter in die Unterwelt, erkundet sie und klopft Monster kaputt
- Aus den Monstern purzelt Loot (also Geld oder mehr oder wenige tolle Items) raus, was der Spieler einsammelt.
- Der Spieler verkauft den Stuff an der Oberwelt, bekommt dafür Geld und kauft sich bessere Ausrüstung
AGAIN
Und das macht der Spieler immer und immer und immer wieder. Man könnte hier sicher noch die Dialoge mit den NPCs integrieren. Also dass der Spieler einen Auftrag von einem NPC bekommt, in die Dungeons zu gehen und nachdem er aus dem Dungeon geht, geht er wieder hin und harkt so den Auftrag ab. Aber erstens ändert das am eigentlichen Loop nichts. Und zweitens dürfte vermutlich niemand der recht bei Trost ist, Diablo wegen der gigantischen Dialoge spielen…
Der Core Game Loop der alten Siedler Titel
Oder bei den alten Siedler-Titeln ist das in etwa so:
- Ich baue ein Gebäude
- das Gebäude kostet mich Ressourcen und gibt mir welche.
- Ich schaue in meinem Ressourcen Interface nach, was der Bau mit meinen Ressourcen und mit den Bedürfnissen meines Volks macht.
AGAIN
Das mag sich trist anhören, dass ein Spiel immer nur ein und den gleichen Core Game Loop haben soll. Aber tatsächlich ist ein guter Core Game Loop DAS Erfolgsgeheimnis eines guten Spiels. Und natürlich ändert sich dieser im Spiel auch, indem er schwerer, komplexer, fortgeschrittener wird. Aber in einem guten Spiel – außer vielleicht mit ein paar Ausnahmen, wie zum Beispiel bei Fable 3 – ändert sich dieser nie fundamental!
Die Zwiebel
Hat man für ein Spiel ein wirklich gutes, spaßiges Toy und darum noch einen echt guten Core Game Loop gepackt, ist der Drops eigentlich schon gelutscht. Denn das ist ohne Zweifel und ohne Wenn und Aber der schwerste und der entscheidendste Teil beim Spiele entwickeln überhaupt. Das ist das schlagende Herz des Spiels. Der Rest ist im Vergleich dazu quasi ein bisschen Malen nach Zahlen und mehr Handwerk als dieser initiale Aufschlag. Aber es braucht hier ganz massiv eine Sache, damit man es jetzt nicht mehr versaubeutelt: Disziplin. Die Disziplin, wirklich konsequent von innen nach außen das ganze wie eine Zwiebel zu entwickeln.
Die Disziplin konsequent von innen nach Außen zu entwickeln
Genau wie bei einer Zwiebel muss man jetzt konsequent von dem Herz des Produkts ausgehend weiter entwickeln. Frei (und nicht überprüft) nach Antoine de Saint-Exupéry: Gutes Design ist nicht, wenn man nichts mehr hinzufügen kann, sondern wenn man nichts mehr weglassen kann. Und hier kommen wir wieder zu der blinkenden Zwiebel mit den Fancy Türmchen und der drei Meter langen Seiden-Schleppe: braucht halt kein Mensch.
Was wir brauchen sind gute, konsequent aufgebaute Spiele, die Spaß und Sinn machen. Ohne unnötigen SchnickSchnack und Gebammsel. Und das Toy und der Core Game Loop als der innere Kern des Spiels, sind die Direktive die sich überall durch das Spiel durchziehen muss. Es ist der Prüfstein, an dem entschieden wird, welche Features diesem inneren Kern dienen und welche nicht. Beim Filme machen gibt es das schöne Zitat (dessen Quelle ich leider nicht gefunden habe, wer sie also hat, gerne her damit):
A Line is not Worth a Scene.
A Scene is not Worth a Movie.
Will so viel heißen wie: Egal wie großartig eine Line ist, und wenn es „Hasta la Vista Baby“ persönlich ist: passt sie nicht perfekt zur Szene, fliegt sie raus! Das gleiche mit einer gigantischen Szene, die nicht perfekt in den Film passt. Und oh, was habe ich schon mit gebrochenen Herzen großartige Szenen aus meinem Roman geschmissen, weil sie nicht perfekt in das Gesamtgefüge gepasst haben. Ich fühle also mit euch 😉
Baut kein Frankensteins Monster!
Und so ist das bei Spielen auch: Egal wie großartig eine Idee ist oder wie phantastisch ein Feature ist oder wie hübsch ein GUI Element designed ist: Wenn es nicht dem schlagenden Herz des Spiels dient, muss es raus! Ohne Wenn und Aber und mit der eben nötigen Disziplin, die man hier als Designer aufbringen muss. Sonst hat man am Ende keine elegante, konsequent Schicht für Schicht aufgebaute Zwiebel (told you so, ich brauche ne bessere Metapher), sondern ein Frankensteins Monster, wo hier noch was dran geklebt wurde und dort noch ein Feature’chen angeschraubt und dort noch ein Element in der GUI und hier und da. Aber es ist nicht gut und schlank designed und das wichtigste: Es lebt nicht. Es ist eigentlich Haufen von Krempel ohne klare Linie, ein seelenloser Zombie.
Und jetzt ihr: Was wäre denn ne schickere Metapher als ne Zwiebel? Kommt schon, das muss doch besser gehen!